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Donnerstag, 11. Oktober 2012

Was ist Langzeitstillen? - ein paar Gedanken - Achtung: theoretisch und lang

Hallo,

da hatte ich doch vor einigen Tagen einen ganz unerwarteten Streit (leider nur über das Medium Computer, wahrscheinlich hätten wir uns persönlich viel schneller verständigen können.), im Prinzip aus einer Nichtigkeit entstanden, hätte nicht sein brauchen. Aber wie das so ist, wenn man sich angegriffen fühlt, kontert man......

Es ging um das Langzeitstillen. Die Kollegin meinte, das sei kein gutes Wort. Soweit kann ich auch eigentlich mitgehen. Bedeutet es doch, dass irgendwo eine Grenze festgelegt wird, die angibt, wann man noch "normal" stillt und wann "langzeit" (und infolgedessen irgendwie "unnormal"). So weit so gut.

Irgendwie kamen wir auf die Frage nach dem natürlichen Abstillalter beim Menschen und gerieten mächtig aneinander. Mir fiel dabei auf, dass es offensichtlich einen gedanklichen Zusammenhang zwischen dieser "Grenze" (natürliches Abstillen) und dem Begriff Langzeitstillen gibt. Denn ich nannte "3 Jahre" als Grenze, ab der ich vom Langzeitstillen sprechen würde, und sie konterte mit Angaben zum Abstillalter beim Menschen. Dabei ist das kein unbedingt zwangsläufiger Zusammenhang. Man könnte auch die Mitte der "normalen" menschlichen Stillzeit nehmen und von allem, was über diesem Zeitpunkt liegt, vom Langzeitstillen sprechen. Ich finde, diese ganze Begriffsbestimmung ist tatsächlich ein Problem, dem man mal nachgehen sollte.

Das wirft nun ein paar Fragen auf:

1. Wie sollte man Langzeitstillen definieren?
2. Wo liegt das natürliche Abstillalter des Menschen?
3. Sollte man das natürliche Abstillalter des Menschen zur Grundlage für die Definition des Langzeitstillens machen und wenn ja, in welcher Weise.
4. Sollte man das Wort "Langzeitstillen" verwenden oder lieber nicht?


Auf 1. gibt es meines Wissens keine wirkliche Antwort. "Langzeitstillen" ist ein Wort, das sich eingebürgert hat und verwendet wird, ohne eine richtige Definition zu besitzen. Meines Erachtens wird es daher individuell sehr verschieden benutzt, was eben auch die Ursache für Unstimmigkeiten sein kann. Renz-Polster nennt es einfach "das Stillen von Kleinkindern" (Langzeitstillen: Wo ist das Problem?). Wenn ich in Foren lese oder Frauen in Gesprächen zuhöre, scheint es eine kulturelle Grenze zu geben, ab der wohl die meisten schon vom Langzeitstillen sprechen würden - und das ist die Zeit nach dem ersten Geburtstag.
In einer - auch ansonsten sehr interessanten - Diplomarbeit aus dem Jahre 2008 (Hier geht's zum Text) fand ich - passend zu meiner Beobachtung - folgende Angaben: Es werden hier Antworten von interviewten Frauen ausgewertet. Auf die Frage, ab wann man vom Langzeitstillen sprechen kann, lag der Mittelwert bei 15,1 Monaten, wobei die Angaben nach oben und unten weit schwankten. Auch die Autorin selbst definiert das Stillen über ein Jahr hinaus als Langzeitstillen und begründet: "Stillen jenseits des ersten Lebensjahres ist hierzulande kulturell nicht üblich, gilt somit als nicht „normal“ und bedarf daher einer gesonderten Bezeichnung, die auch in dieser Arbeit der Einfachheit halber verwendet wird. Der Begriff „Langzeitstillen“ wird hierzu folgendermaßen definiert: Stillen eines Kindes über das erste Lebensjahr hinaus.Diese Altersgrenze wird gewählt, da ein Kind innerhalb des ersten Lebensjahres auf künstliche Muttermilchersatzprodukte (MMEP) angewiesen ist, sofern es nicht gestillt wird. So lange die Muttermilch durch ein künstlich hergestelltes Nahrungsmittel ersetzt werden muss, kann demzufolge noch nicht von langem Stillen gesprochen werden. Ein weiteres Kriterium ist, dass ein Kind ab dem ersten Geburtstag als Kleinkind bezeichnet wird und damit dem Babyalter entwachsen ist." Über diese Definition kann man streiten, sie zeigt aber, dass es bei uns ganz offensichtlich diese rein kulturelle Grenze um das Ende des ersten Lebensjahres herum gibt, ab der gerne schon vom Langzeitstillen gesprochen wird.

Auf 2. gibt es viele Antworten.

Zunächst die Empfehlung der WHO: in den ersten 6 Monaten voll stillen, dann neben Beikost gern bis zum zweiten Lebensjahr oder auch drüber hinaus, wie Mutter und Kind es wollen. Ich habe auf die Schnelle nichts finden können, was erklärt, wie die WHO auf die "Grenze" von 2 Jahren kommt.

Dann gibt es wohl aus den letzten Jahren (oder sogar überhaupt) nur eine Untersuchung, die sich mit diesem Thema irgendwie wissenschaftlich auseinandersetzt: A. Dettwyler: Der Mensch als Säugetier und das biologisch sinnvolle Abstillalter. Dettwyler interpretiert verschiedene Untersuchungen und Annalysen zu ihrem Thema und führte selbst Untersuchungen durch. Ihre Antworten findet sie aus dem Vergleich mit anderen Säugetieren, v. a. Primaten. Dies ist aber schon das erste Problem. Können wir das? Sie weist auch selbst auf die Probleme ihrer Untersuchungen hin, z. B. auch darauf, dass teilweise die Methoden und somit auch die Ergebnisse der verwandten Untersuchungen mit Vorsicht zu genießen wären. Außerdem erklärt sie auch klar, dass sich aus ihren Ergebnissen keinerlei Empfehlungen herleiten lassen. Sie kommt aufgrund der verschiedenen Fragestellungen und Herangehensweisen (ist bei ihr nachzulesen, führt hier zu weit) auf ein natürliches Abstillalter zwischen 2,8 und 7 Jahren.

Und es gibt noch die Möglichkeit des Kulturvergleiches. Hierzu fand ich bei Renz-Polster: : "Im Durchschnitt aller dokumentierten Kulturen liegt die Stilldauer beim Menschen etwa bei 30 Monaten.", wobei es große Schwankungen gibt. Bei Wikipedia fand ich hierzu: "Der Vergleich des Abstillalters von 64 traditionellen Kulturen, wie er von Katherine Dettwyler und Stuart McAdam in „Breastfeeding: Biocultural Perspectives“, 1995, angestellt wird, kommt zu einer Kurve, deren Scheitelpunkt kurz vor dem 3. Geburtstag liegt.", ebenfalls bei starken Schwankungen. (Quelle)

Die an der Studie zu oben genannter Diplomarbeit beteiligten Frauen wurden auch nach ihrer persönlichen oberen Altersgrenze beim Stillen befragt. Der Mittelwert der Angaben lag bei 3,5 Jahren, bei großen Schwankungen nach oben und unten.

Eins wird hier ganz deutlich: Die Frage, wo das natürliche Abstillalter des Menschen liegt, ist nicht ausreichend untersucht. Es gibt bisher nur Versuche, sich dem Thema zu nähern. Dabei ist noch nicht mal klar, ob die richtigen Fragen gestellt werden, z. B. beim Vergleich mit anderen Säugetieren. Hierzu ein schöner Ansatz von Renz-Polster: "Warum ist beim Menschen die Stilldauer so variabel? Die Antwort ergibt sich aus der singulären evolutionären Nische des Menschen: Stillt eine Tiermutter ab, bevor ihr Kind reif genug ist, um ausreichend Nahrung für sich selbst zu finden, so ist das Kind dem Tod geweiht. Beim Menschen ist das anders: Ein Menschenjunges kann nicht nur dank der Muttermilch überleben, sondern ab einem bestimmten Alter auch mit Kleinkindkost versorgt werden ... Wie stark und wie früh dieser „Ernährungspuffer“ genutzt wurde, hing immer auch von den vorgefundenen sozialen Bedingungen ab." Es "erwiesen sich die Arbeitsbedingungen der Frauen als die weit wichtigere Einflussgröße. Können etwa im Hochland Nepals Frauen ihr Baby zur Arbeit nicht mit aufs Feld nehmen, so wird früher abgestillt. Auch Mütter in Jäger- und Sammlergruppen, die ihre Kinder in der Obhut von Pflegepersonen in einem Lager zurücklassen können, stillen »nur« ein bis zwei Jahre. Hochmobile Jäger- und Sammlergruppen unter rauen Umweltbedingungen (wie etwa die Kung in der Kalahari) dagegen stillen volle drei bis vier Jahre lang, also eher lange." Auch der Einfluß des Vaters und der Gesellschaft auf die Stilldauer sind sehr groß.

Wird es also überhaupt möglich sein, ein natürliches Abstillalter des Menschen festzulegen über die allgemeine Angabe von ca. 2 - 7 Jahre hinaus? Ich persönlich glaube: wohl eher nicht, bin aber natürlich offen für weitere Untersuchungen. Wahrscheinlich ist es aber auch deswegen nicht (mehr) möglich, eine Antwort auf diese Frage zu finden, weil eben unsere Kultur schon zu viel Einfluß auf unsere Natur genommen hat.

Wichtig ist es meiner Meinung nach zu wissen, dass das Stillen über das erste Lebensjahr hinaus in unserer Natur liegt (dafür reicht ein Blick in die Geschichte und in andere Kulturen) und somit normal ist. Das sollte auch stärker in unserer Gesellschaft verbreitet werden


Dettwylers Forschungen in Ehren, aber dass das menschliche Abstillalter irgendwo zwischen dem 2. und 7. Lebensjahr liegt, ist doch auch irgendwo logisch. Sicherlich wird es nicht zwischen 12 und 23 liegen..... Ich selbst wäre gefühlsmäßig wahrscheinlich nicht so hoch gegangen, aber irgendwie sind diese Ergebnisse durch ihre große Breite aussagelos. Mir liegen die Ergebnisse des Kulturvergleiches näher. Hier liegt das Abstillalter im Durchschnitt - bei großen Schwankungen - kurz vor dem dritten Geburtstag. Der Mittelwert der mütterlichen Angaben zu ihren persönlichen oberen Altersgrenze beim Stillen in der zitierten Diplomarbeit liegt bei 3,5 Jahren. Zwar gibt es immer große Schwankungen, die man ja mit Renz-Polster gut mit der jeweiligen Kultur, dem sozialen Umfeld oder einfach der Individualität erklären kann, aber ein Durchschnittswert zeichnet sich doch mit dem dritten Lebensjahr ab.

Der 3. Punkt ist schwierig. Offenbar gibt es schon einen Zusammenhang zwischen den beiden Begriffen "natürliches Abstillalter" und "Langzeitstillen". Rein gefühlsmäßig bezeichnet man wahrscheinlich als "Langzeitstillen" das, was über die Zeit hinausgeht, die man persönlich als obere Grenze der Stillzeit ansieht. Das ist bei vielen das Ende des ersten Lebensjahres, bei anderen später, bei wenigen sehr viel später.

Ich persönlich würde alles unter 3 Jahre als ganz normale Stilldauer bezeichnen. Das heißt natürlich nicht, dass jede Frau so lange stillen muß. Ich würde mit dieser Antwort nur gern erreichen, dass sich irgendwann einmal im Bewußtsein der Menschen, die ja heutzutage noch oft bei 6 gestillten Monaten ganz verständnislos sind, einschleicht, dass das Stillen weit über das erste Lebensjahr hinaus ganz normal ist

Insofern nutze ich das in meinen Augen durchschnittliche menschliche Abstillalter auch als Grenze des "Normalen/Üblichen" und bezeichne alles, was darüber liegt, als Langzeitstillen.

Mein Fazit: Ich glaube, dass es ein natürliches Verhalten von uns modernen Menschen ist, Vorgänge und Abläufe zeitlich zu fixieren, so dass es wahrscheinlich immer darauf hinauslaufen wird, das verschiedene Menschen verschieden lange Stillzeiten nicht mehr als normal ansehen und auch sprachlich von dem "Normalzustand" trennen werden. Insofern wäre es wahrscheinlich sogar ratsam, den Begriff Langzeitstillen ordentlich zu definieren. Damit wird man sich aber sicher schwer tun, wenn man die natürliche Stilldauer des Menschen zugrundelegen will. Außerdem wird es immer bedeuten, eine bestimmte Zeit der Stillzeit außerhalb der Normalität zu stellen, was sicher auch nicht ratsam ist. Man muß dann immer darauf hinweisen, dass es sich um eine außergewöhnlich lange aber deswegen nicht unnormale Länge der Stillzeit handelt.

Kommten wir also zu 4.: Das Wort "Langzeitstillen" hat für mich überhaupt keine negative oder abwertende Bedeutung. Es sagt lediglich aus, dass man länger stillt als es bei uns gemeinhin getan wird. Wenn jemand 7 oder mehr Jahre stillt, liegt das weit über dem Durchschnitt, ist aber dennoch - wenn man von den überall möglichen sozialen Störungen im Verhalten von Mutter und/oder Kind absieht (was ja Langzeitstillmüttern gern vorgeworfen wird) - völlig normal.


Mein Fazit:

Ich denke, das Wort "Langzeitstillen" hat sich schon so sehr eingebürgert, dass es wahrscheinlich nicht mehr aus unserem Wortschatz wegzudenken ist. Besser wäre es sicherlich schon, immer nur vom Stillen zu sprechen, egal wie lange es dauert. Aber ob man es nun speziell benennt oder nicht, langes Stillen wird (ebenso wie - zu - kurzes oder gar kein Stillen) immer heftig diskutiert werden. Mir geht es vor allem darum, dass nicht schon das Stillen ab dem ersten Lebensjahr als langes Stillen angesehen wird. Es wäre schön, wenn sich ein späterer Zeitpunkt, ab dem man vom "Langzeitstillen" spricht, einbürgern würde. Das dritte Lebensjahr scheint mir aus oben beschriebenen Gründen ein guter Zeitpunkt zu sein. Man erfasst außerdem damit den weitaus größten Teil der Stillenden in unserer modernen Gesellschaft, womit (fast) alle als normal stillende Frauen bezeichnet werden würden. Wie lange es über diese Zeit hinausgeht, sollte offen bleiben. Ein verschwindend geringer Teil der Stillenden würde somit tatsächlich langzeitstillen und ich denke, diese Frauen haben für sich schon lange vor dem dritten Lebensjahr entschieden, dass dies völlig normal ist, egal wie lange es dauern sollte, bis Mutter und Kind gemeinsam diese schöne Zeit in ihrem Leben beenden.

Ich freue mich über eine Diskussion zum Thema, denn ich erhebe hier überhaupt keinen Anspruch auf der Weisheit letzten Schluß.

Liebe Grüße

Angela

1 Kommentar:

  1. Sehr schöner Text.

    Ich habe vor einiger Zeit eine Tabelle gesehen, in der versch. Säugetiere und ihre Stilldauer angegeben wurden sowie bestimmte Merkmale wie Zahnwechsel / Ende der Kindheit / bestimmte Wachstumsmerkmale, dazu im Vergleich den Menschen und die Länge der Stilldauer, wenn man diese o.g. Merkmale dann auch als Grenzen für das Ende der Stillzeit nehmen würde.

    Dauer war auch so zwischen 3 bis 6 Jahre :)

    Und was mich persönlich stört: ein Kind, das mit 6 Jahren noch seine Formula aus der Nuckelflasche süffelt ist meist süß. Ein Kind in dem Alter, dass an Mutters Brust trinken würde, würde garantiert als krank gelten und die Mutter als abartig... Schade.

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